Schöner Mann und Hoher Freschen über Valüragrat

Veröffentlicht von am Okt 5, 2014 in Bergwandertouren, Bregenzerwaldgebirge | 3 Kommentare
Schöner Mann und Hoher Freschen über Valüragrat

Das ideale Gebiet für Tages-Bergtouren von Wien ausgehend ist, neben der Hohen Tatra, das Bundesland am quasi anderen Ende von Österreich: Vorarlberg. Idealer könnten An- und Abreisebedingungen kaum sein. Am Abend setzt man sich in den Zug, am nächsten Morgen landet man in Feldkirch, Bregenz oder anderen Städten, an denen das gute öffentliche Bussystem für die Weiterreise herangezogen werden kann. Wer gut ist, schläft sogar ein paar Stunden in der Zeit dazwischen.

Der 1. September markiert den meteorologischen Herbstbeginn und der zeigt sich von seiner nassen Seite. Die Vorhersage der nächsten Tage: dunkle Wolken mit hellblauen Strichen, die schräg verlaufend nach unten zeigen. Anders jedoch hinterm Arlberg in Vorarlberg, eine kleine Sonne versteckt sich schüchtern hinter grauen Wolken. That’s it. Vorarlberg, ich komme.

Es gibt Gipfel, die besteigt man aufgrund ihrer Aussicht, weil sie über 1000m Prominenz aufweisen können, die Höchsten in einem Land sind oder weil sie im Fachjargon einfach als “Klassiker” gelten. Aber dann gibt es auch Gipfel, die nur mit dem Namen punkten können. Ein solcher Gipfel ist der “Schöne Mann”, ein unscheinbarer 1.523m hoher Vorgipfel vom 16m höheren Wendtkopf im Bregenzerwald. Genau diesen bewaldeten Gupf suche ich mir für die Tagestour aus, erblicke auf der Karte weiter östlich den Hohen Freschen, dessen Gipfelkreuz sich knapp über 2.000m gen Himmel streckt. Ich schmunzle die Karte an, entdecke wieder eine lustige Bezeichnung: den “Valüragrat”, das vorarlbergerische Wort für “verlieren”. Die Tour steht fest, der Zug fährt ab.

Nun liege ich in Fötusstellung in einem ungarischen Waggon, dessen Sitze nicht nach vorne gezogen werden können. Nachtzug-Abteil-Reisende wissen was das bedeutet. Zwei weitere Mitreisende aus Deutschland haben sich am Westbahnhof zu mir gesellt, beinahe kommt sowas wie Kuschelfeeling auf. Die Nacht ist bezugnehmend auf die bescheidene Schlafposition außergewöhnlich erholsam. Irgendwann nach 6 Uhr früh, der Vorhang der Nacht hat sich gelichtet, erblicke ich die weißen Gipfel zu meiner Rechten. Es müsste wohl das Lechquellengebirge sein, den Arlberg hatten wir schon passiert. Gespannt bin ich auf die Situation am Freschen, Schnee oder kein Schnee, das ist hier die Frage.

Nach einem deftigen Frühstück am Bahnhof Dornbirn bringt mich ein Landbus durch die Rappenlochschlucht in das kleine, verschlafene Nest Ebnit. Von Sonne keine Spur, doch wenigstens lässt der Regen auf sich warten. Die ersten Höhenmeter in Richtung Emser Hütte sind steil, das Frühstück vom Bahnhof Dornbirn liegt mir noch schwer im Magen. Kurz vor der Emser Hütte erreicht man eine Wegkreuzung, der Weg zu meiner Rechten führt zur “Schöner Mann Alpe“.

Sieht relativ freundlich aus, doch der Aufstieg auf den Schönen Mann von der Südseite war äußerst schlammig.

Sieht relativ freundlich aus, doch der Aufstieg auf den Schönen Mann von der Südseite war äußerst schlammig.

Kurz nach der Alpe beschließe ich weglos den Rücken vom Wendtkopf zu besteigen um dann gemütlich auf den Schönen Mann zu stolzieren. Die letzten Tage regnete es in Vorarlberg, und zwar beinahe ununterbrochen. Der Situation wohlwollend angepasst verhält sich der von Kühen ausgetretene Wiesenhang. Es ist eine reine Gatschpartie. Mein erster Schritt abseits der Forststraße endet mit einem lauten “schluuuuurp”. Und weg ist der Schuh. In dieser Tonart geht es weiter, erst ganz oben am Rücken angekommen können sich die Schuhe über etwas Frischluft freuen, und ich auch. Bald erreiche ich ein kleines Waldgebiet und stehe unerwartet auf einer kleinen Kuppe. Sehr unspektakulär. Schöner Mann am Schönen Mann? Mit Sicherheit nur von den Knien aufwärts.

Am Abstieg fühlen sich meine Schuhe wie Eisenschuhe an. Umfallen kann man nicht, nur radikal wegrutschen und dem Schlamm Zuneigung widmen. Schlamm-Anarchie am Kuhhang.

An der Schönen Mann Alpe kann man Cindy kennenlernen, die Alm-Hündin.

An der Schönen Mann Alpe kann man Cindy kennenlernen, die Alm-Hündin.

Zügig retour marschierend zur Emser Hütte stelle ich fest, dass diese geschlossen ist. Wie so oft im heurigen Wanderjahr, fast überall wo ich unterwegs war, landete ich nur an Gasthöfen und Hütten mit Ruhetagen. Mein Gedanke: liegt es an mir? Nur weil ich keine Gatschpartie auslasse?

Die Hohe Kugel - ein beliebter Skitourenberg.

Die Hohe Kugel – ein beliebter Skitourenberg.

Ein steiniger, rot markierter Waldsteig führt mich stets bergan, alle paar Meter wie das Amen im Gebet muss ich einem Gatsch-Fleck ausweichen. Nachdem mich der Steig verlassen hat, wechselt die Topographie zu einem sanft ansteigenden Wiesenhang, ein sehr breiter Alm-Rücken mit Blick auf die Hohe Kugel. Das Terrain rund um die Hohe Kugel erinnert mich an den Niederwechsel.
Die 1.645m Hohe Kugel ist schnell erreicht, die Aussicht ist aufgrund aufkommender Nebel- und Wolkenbildung jedoch rar. Im Westen kann man das Rheintal erahnen, der Hohe Freschen im Osten zeigt sich mir noch gar nicht. Am Gipfel der Hohen Kugel treffe ich einen Einheimischen, bewaffnet mit Smartphone schießt er Selfies am Gipfel. Auf meine Frage hin, ob ich ein Foto von ihm machen soll, verneint er, die Selfies reichen. Da er meint, er sei von der Gegend und hier oft unterwegs, frage ich ihn ob Schnee am Hohen Freschen liegt. Er blickt durch die Gegend: “Wo genau soll der sein?”

Die Warnungen bezüglich der Begehung sind bei Nässe absolut berechtigt.

Die Warnungen bezüglich der Begehung sind bei Nässe absolut berechtigt.

Ohne ein Selfie setze ich meinen Marsch fort, der Weg an sich wird nun etwas spannender. Der markierte Weg wird schmäler, teilweise als luftige Gratwanderung zu bezeichnen. Nach dem Treietpass am Aufstieg zum Vorderhörnle findet sich die erste Herausforderung des heutigen Tages: eine Eisen-Leiter, die von einem schmalen Grat einige Meter aufwärts führt. Wer sich hier schon etwas unsicher fühlt, sollte eher wieder umkehren, selbst wenn am restlichen Aufstieg zum Hohen Freschen keine solchen Hindernisse warten.

Schöne Gratwanderung am Hörnle.

Schöne Gratwanderung am Hörnle.

Für Abwechslung ist gesorgt. Stetiges Auf und Ab, felsige Passagen und schlammige Waldwege, aussichtsreiche und düstere Plätze wechseln sich im Minutentakt ab. Den eigentlichen Valüragrat habe ich aufgrund der festsitzenden Wolke noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Am Dümelesattel besteht die vorletzte Möglichkeit, sich die Besteigung des Valüragrates nochmal zu überlegen. Ein markierter Weg führt von hier bergab zur Pöpiswiesalpe, aber ich bin doch kein “Valüra”, also weiter am Grat. Nach wenigen Minuten lasse ich den Wald endültig hinter mir, ein Hinweisschild markiert nun den wahren Beginn des Grates.

Im Grunde geht es einfach nur rauf.

Im Grunde geht es einfach nur rauf.

Steiler als zuvor und anfänglich noch schlammig spüre ich die nasse Kälte, die langsam aber sicher vom Tal und von den umliegenden Gräben in Richtung Gipfel zieht. Feuchter Fels löst den erdigen steilen Weg ab, die Dunstwolken steigen im Eiltempo an mir vorbei. Auf einmal war es weiß. Ich bleibe für einige Minuten stehen und beobachte das beeindruckende Schauspiel. Wie sanfte weiße Tücher muten die Wolken an, laden dazu ein sich darauf zu platzieren und nach oben gehoben zu werden. In Wahrheit stehlen sie mir die die ganze Aussichtsshow, das ist die nackte Wahrheit.

Absolute Stille und Einsamkeit am Valüragrat.

Absolute Stille und Einsamkeit am Valüragrat.

Der ausgesetzte Valüragrat ist steinig, des Öfteren ist Handeinsatz gefragt (eine I- würde ich aber dennoch nicht vergeben), die blaue Markierung ist selbst bei einer weißen Wolkenwand meist noch ersichtlich und erleichtert die Orientierung. Mit Sicherheit sollte die Begehung des Grates bei sonnenreichem Aussichtswetter eine Traumtour sein.

Die letzten Meter vor dem Gipfel, die Steilstufe befindet sich in der Bildmitte.

Die letzten Meter vor dem Gipfel, die Steilstufe befindet sich in der Bildmitte.

Nahe dem Gipfelaufbau stößt man auf eine Wegkreuzung, an welcher zur Linken der Binnelgrat und der Nordalpenweg warten, der Gipfel des Hohen Freschen befindet sich jedoch zu meiner Rechten. Nur wenige Meter unterhalb des Gipfelkreuzes wartet ein “Mini-Hillary-Step” auf mich. Gesichert mit einem Stahlseil wuchte ich mich und meinen Rucksack die ca. 2m hohe Steilstufe empor. Am Gipfel herrscht Totenstille. Die Sichtweite beträgt nur wenige Meter, die Box des Gipfelbuchs klemmt und lässt sich nicht aufkriegen. Sollte mich in Kürze der Bregenzerwald-Wolken-Yeti entführen, niemand wüsste dass ich es hier auf den Gipfel geschafft hätte.

Ha! Selbst ich kann Selfies schießen!

Ha! Selbst ich kann Selfies schießen!

Es geht bergab mit mir. Das Freschenhaus ist nach 20 Minuten auf gemütlichen Almwegen erreicht, das Wetter hat nun aber jede Gemütlichkeit begraben. Starker Wind kommt auf, der einsetzende Regen fällt keineswegs mehr vertikal auf den Almboden. Unter dem Vordach vom Freschenhaus finde ich kurz Unterschlupf, der Regenponcho soll nun auch zu seinem Einsatz kommen. Und viele Bergwandermenschen kennen das Phänomen: ziehst du dir die Regenkleidung an, hörts nach wenigen Minuten wieder auf. So geschehen wenige Minuten nach dem Freschenhaus.

Die Gebetsfahnen am Freschenhaus zeigen nur in eine Richtung.

Die Gebetsfahnen am Freschenhaus zeigen nur in eine Richtung.

Ich habe schon längst meinen Abstieg fortgesetzt, als sich das erste Mal die Sonne zeigt. So richtig nämlich mit Augen zudrücken und Hand auf die Stirn halten. Die weiße Suppe steht jedoch starr am Gipfel des Hohen Freschen und wird wohl heut nicht mehr von diesem Fleck weichen. Von der Unteren Saluveralpe führt eine Straße wieder leicht bergauf zum Gapfohlfürggele. Von diesem passähnlichen letzten Höhepunkt wandere ich nun auf Schotterstraßen gen Zivilisation. Ein paar Monate später wird hier dem Pistenvergnügen gefrönt, die Schneekanonen stehen schon Habt Acht.

Rückblick auf den Hohen Freschen, Sonnenstrahlen habe sich hierher verirrt.

Rückblick auf den Hohen Freschen, Sonnenstrahlen habe sich hierher verirrt.

Ein oft mit Hackschnitzeln ausgelegter Weg leitet mich hinab zur Sommerrodelbahn und Talstation der Skischaukel. Der steppende Bär hat sich heute nicht nach Innerlaterns verirrt, der Landbus steht für mich parat und soll mich nun nach Rankweil zum Bahnhof bringen. Im Bus komme ich mit dem Fahrer und einem Fahrgast ins Gespräch, beide bemühen sich sichtlich den Dialekt ein klein wenig zurückzuschrauben. Sie haben noch nie jemanden getroffen, der mir nichts, dir nichts nach Vorarlberg kommt, auf einen Berg raufsteigt und am selben Tag wieder heimfährt. Der Fun-Faktor im Bus ist überaus groß, die Hälfte ist mir zwar unverständlich, aber ich mag das Vorarlberger Völkle.

Man nähert sich der Zivilisation in Innerlaterns.

Man nähert sich der Zivilisation in Innerlaterns.

Einige Stunden später stehe ich nach Mitternacht am Westbahnhof, die U-Bahnen haben den Betrieb eingestellt, Käsekrainer und Kebab brutzeln in den Imbissbuden vor sich hin. Und ich mache mich auf den Heimweg, einen Hohen Freschen und einen Schönen Mann in der Tasche. Keineswegs fühle ich mich als “Valüra”.

Die Tour erfolgte am 1. September 2014. An- und Abreise geschah jeweils mit der Eisenbahn. Der Landbus nach Ebnit fährt vom Bahnhofvorplatz in Dornbirn ab, von Innerlaterns erreicht man direkt mit dem Landbus den Bahnhof Rankweil. Weginformationen finden sich im “AV-Führer Bregenzerwald” vom Bergverlag Rother, mit dabei war die Karte ÖK50 1224 Hohenems. Am ausgesetzten Valüragrat ist vor allem bei Nässe hohe Konzentration gefordert, ich bezeichne die Begehung des Grates als anspruchsvoll, aber lohnend.

3 Kommentare

  1. Michael S
    11. Juli 2016

    Eine Tagestour auf den hohen Freschen von Wien (!!) aus. Und dann bei dem Sauwetter. Spektakulär :). Binnelgrat und Valüragrat schenken sich nicht viel. Extra wegen dem Binnelgrat zurückkommen wäre zu viel des Guten. Vielleicht lieber über eine Wanderung im Lechquellengebirge nachdenken. Rote Wand mit steinernem Meer zB.

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  2. Michael
    6. Oktober 2014

    Hallo Martin,

    eine schöne Variante … klingt wirklich toll, habe ich noch nie probiert … kommt jetzt aber fix auf den Wunschzettel.

    Toller Bericht.

    LG
    Michael

    Reply
    • Martin Moser
      6. Oktober 2014

      Hallo Michael,
      danke für dein Kommentar. Sollte es mich wieder in die Gegend verschlagen habe ich den Binnelgrat im Visier, sieht auf der Karte auch spannend aus. :)

      lg Martin

      Reply

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