Polens Höchster – der Rysy (2499m) in der Hohen Tatra
Die höchsten Berge von Polen und der Slowakei können sich täglich gute Nacht und guten Morgen wünschen. Nur wenige Kilometer Luftlinie trennen die beiden Gipfel des Gerlach und des Rysy, also wenn eine überlange Slackline… ach, lassen wir das. Jedenfalls blickt man wunderbar vom polnischen Rysy auf den slowakischen Gerlachovský štít und umgekehrt ebenso, das ganze Schauspiel spielt sich in der Hohen Tatra ab, auf slowakisch Vysoké Tatry, auf polnisch Tatry Wysokie. Von Wien ungefähr so weit entfernt wie die Hohen Tauern, bietet die Hohe Tatra Bergerlebnis pur und eine wunderbar erhaltene Natur- und Bergwelt. Es gibt wahrlich einiges zu Entdecken im höchsten Teil der Karpaten, dem oft bezeichneten “kleinsten Hochgebirge der Welt”.
Nun, was treibt einen in die Hohe Tatra? Erstens, schönes Wetter. Zweitens, der höchste Berg Polens, der Rysy mit seinen 2499m. Die eigentliche Hochtour in den Stubaier Alpen hatte ich wegen Sauwetter kurzfristig abgeblasen, die Wettervorhersage der Alpen sah für die nächsten Tage zum Fürchten aus. Ich warf einen Blick über den Alpentellerrand und entdeckte eine lächelnde Sonne für die nächsten zwei Tage in der Hohen Tatra. Na dann, warum nicht?
Mit einer geliehenen Kamera – meine habe ich vor wenigen Tagen im Kroatienurlaub unabsichtlich im Sand vergraben – und vielen Müsliriegeln starte ich beginnend zur Nachtruhe mit dem Nachtzug in Wien. Den Hauptort Štrba in der Slowakei erreiche ich mit Umstiegen in Bratislava und Liptovský Mikuláš. Ein paar Schlafminuten sind in dem vollen Zug ab Bratislava leider nicht drin, vor allem weil mich ein überaus netter Schaffner alle paar Minuten daran erinnert, dass ich um 3 Uhr 40 in Liptovský umsteigen muss, um den Zug nach Štrba zu erwischen. Leider reicht das Hängengebliebene meines Internet-Slowakisch-Chrashkurses nur für Hallo und Danke, sein Englisch für hello und thank you, so kommen wir die ganze Zugfahrt auf keinen grünen Zweig. Zwangsläufig steige ich in Liptovský ohne Schlaf aus und suche das Abfahrtsgleis für den Anschlusszug. Ein paar ältere Herrschaften mit Alkoholfahnen und rustikalen Rucksäcken schlendern an mir vorbei, ‘die wollen sicher in die Hohe Tatra’ denk ich mir und folge ihnen. Schon sitz’ ich im Regionalzug nach Štrba.
Nur wenige Menschen verirren sich um halb 5 Uhr früh nach Štrba, ja sogar die älteren Saufnasen sind weitergefahren. Das Bergsteigerdorf Štrbské Pleso (1348m) am gleichnamigen See erreiche ich nach einer 20-minütigen Fahrt mit der Zahnradbahn; eine Fahrt in den Sonnenaufgang ganz für mich allein, hach. Von der Endstation ist der Weg in Richtung Rysy leicht zu finden.
Schneller als erwartet erreiche ich auf einem rot markierten Weg die erste größere Abzweigung beim Bergsee Popradské Pleso (1500m).
Wer sich bislang etwas unterfordert fühlt, der kann sich ab hier bis zur Berghütte Chata pod Rysmi als Sherpa üben. Jeder ist herzlich eingeladen, aus einem Unterstand notwendige Dinge aller Art für die Hütte aufzuladen und dort abzugeben, je nach Gewicht erhält man verschiedenste Belohnungen (Tee oder Rum). Ein besonderes Spektakel ist die jährlich stattfindende Sherpa-Rallye auf die Hütte. Ich bin ein ungemütlicher Zeitgenosse und lasse das Bierfass stehen.
Auf einem leichten, blau markierten Waldweg geht es weiter bergauf und danach in Serpentinen auf einem rot markierten Steig, einen Sherpa mit Bierfass überholend, hinauf zum Bergsee Žabie plesá (1920m), der perfekte Platz für einen Müsliriegel. Am See lerne ich zwei slowakische Bergsteigerinnen kennen und schließe mich ihnen an, obwohl sie es eindeutig auf meinen Müsliriegel-Vorrat abgesehen haben. Kurze Zeit später folgt die Schlüsselstelle der Rysy-Besteigung. Gesichert mit einer Kette und Eisenstiften überwinden wir die nächsten steilen 50 Meter, ehe der Weg wieder in gewohnter steiniger Manier bis zum Willkommens-Schild der neu errichteten Schutzhütte Chata pod Rysmi (2250m) weiterführt.
Meine beiden Begleiterinnen bleiben vorerst bei der Hütte, ich mache mich weiter auf den Weg am Sensenmann vorbei.
Der Wind wird stärker, die Luft kühler, die Wolken werden dichter. Über dem Satan braut sich augenscheinlich etwas zusammen, die schwarzen Wolken verziehen sich aber so schnell wie sie gekommen sind.
Ohne Handschuhe und Haube geht dennoch gar nichts mehr. Vor allem am Sattel Sedlo Váha (2340m) sind ordentliche Steherqualitäten notwendig, der Wind pfeift mir heftig um die Ohren und manche Böen versetzen mich teilweise bei den Schritten.
Die letzten 150 Höhenmeter zwischen Blöcken und Schuttfeldern stehen noch bevor, die Hände werde ich nun verstärkt benötigen, vor allem um an manchen Stellen nicht vom Wind aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden, da wären ein paar Kilo mehr nicht schlecht. Einige kurze Kraxeleien später stehe ich ganz unspektakulär am Gipfel des polnischen Rysy (2499m) und genieße die Rundum-Aussicht, welche wohl auch Lenin im Jahr 1913 beeindruckt hatte. Drei Grate treffen hier am Rysy zusammen, umso imposanter wirkt das Schauspiel der Berge und Seen auf polnischer und slowakischer Seite.
Ich bin der Einzige am Gipfel und hey, höher als ich steht nun in ganz Polen niemand, lasset die Korken knallen. So ähnlich passiert es auch. Zwei Männer haben sich mittlerweile hier eingefunden, lassen glücklich ihre Rucksäcke fallen und halten mir ihren Flachmann entgegen. Nach einem kurzen Schluck von ihrem Blindmacher treibt es mich schon wieder abwärts.
Der Abstieg bis zur Hütte gelingt ohne Probleme und mit der Erkenntnis, zum richtigen Zeitpunkt am Gipfel gewesen zu sein. Nach und nach kommen mir Menschen entgegen, einige, viele, unzählige. Etwas später blicke ich zurück auf den Gipfel und beobachte den Stau am Aufstiegsweg.
Die mühsamen Ausweichmanöver im Abstieg versuche ich mit einer Direttissima-Variante ab der Hütte so gut es geht zu vermeiden, bin aber auch überrascht dass hier Hallenschuhe und Schlapfen mit den dazugehörigen Menschen die Besteigung des Rysy wagen, ein leichter Hauch von Ostblock-Feeling.
Ziemlich schnell erreiche ich wieder den Ausgangsort Štrbské Pleso, welcher mittlerweile Tourismus-Fahrt angenommen hat. Unzählige Stände mit Magneten, Stofftieren und Ansichtskarten weisen mir den Weg zurück zur Bergstation der Zahnradbahn. Knappe 8 Stunden nach meiner Ankunft mache ich mich schon wieder auf den Rückweg in der nun gut gefüllten Zahnradbahn nach Štrba.
In Štrba gönne ich mir einen Automaten-Kaffee und suche das heimische Bahnhofs-WC auf. Nachdem ich der Klofrau die Gebühr von 30 Cent ausgehändigt habe, bekomme ich eine „Eintrittskarte“ inklusive 8 Blatt eines einlagigen Toilettenpapiers, genug für den Automaten-Kaffee?
Das Bier kostet in der Imbissbude neben dem Bahnhof nur etwas mehr als das Doppelte der Klogebühr, einen Hotdog gibt’s um 55 Cent. Ohne in den Genuss des Hotdogs gekommen zu sein, erreiche ich am späten Abend dank einer Direktverbindung den Bahnhof in Bratislava und in weiterer Folge auch Wien, mehr als Sekundenschlaf ist bei diesen Fahrten leider auch nicht drin. Nach 38 Stunden ohne Schlaf, über 20km an Weglänge und 1.600 Höhenmetern lande ich erschöpft im Bett, Müsliriegel schaffte es keiner mehr heim. Aber nach dem eintägigen Kurztrip in eine andere Bergwelt steht für mich eindeutig fest: ein zweiter Besuch der Vysoké Tatry ist mehr als wahrscheinlich – und nicht nur weil der höchste Gipfel der Slowakei hier weilt.
Die Tour wurde im Juli 2012 gemacht. Die beste Karte für die Besteigung ist die Wanderkarte VKU 2 Vysoké Tatry 1:25.000. Außerdem gibt es das Gebiet der gesamten Hohen Tatra noch im Maßstab 1:50.000 von VKU (Nr. 113), Shocart (Nr. 1097) und Kompass (Nr. 2100 und im Maßstab 1:25.000 Nr. 2130 und 2131) abgedeckt. Zur größeren Übersicht ist die freytag & berndt Karte Hohe Tatra 1:150.000 dienlich. Ebenfalls gibt es von polnischer Seite noch zusätzliches Kartenmaterial, zB. von Cartomedia und Eko-Graf. Berg- und Wanderliteratur sind vom Bergverlag Rother (Wanderführer Hohe Tatra), Dajama (Wanderführer Hohe Tatra) und in englischsprachiger Ausgabe von Cicerone (High Tatras) und Sunflower (Tatra Mountains) erhältlich.
Der Rysy in Polen war mein erster Landeshöhepunkt. Dass ich diesen nur mit meinen eigenen Beinen und dem Zug als Transportmittel erreicht hatte, lies in mir eine Idee reifen…
11 Kommentare
Anna
19. Oktober 2019Hey Martin,
das ist wirklich ein toller Bericht mit schönen Fotos. Wie gestaltete sich denn für dich der Abstieg? Ich bin nicht schwindeldfrei und kann leider deutlich schwierigere Wege hochkraxeln, komme dann aber nur sehr schwer wieder runter. Denkst du das könnte machbar sein (z.B. mit vorheriger Übernachtung an der Hütte, so dass man früh am Gipfel ist und hat dann viel Zeit für den Abstieg…im schlimmsten Falle auf meinem Allerwertesten ;) ?
Liebe Grüße
Anna
István Győri/Ungarn
9. Januar 2018der Rysi ist an den neueren Karten höher als 2500, denn in der Nachkriegszeit wurde das Schmuggelgeschäft mit starkerSoltatenwache gestoppt, dazu wurde auch uer ein Wachposten gebaut, mit Hubschrauben holte man Hunderte Kubikmeter Stein um einen Plattform zu bauen dieSoldaten warenunten in einer Baracke ampoprader SeeHütte am poprader See stationiert und mussten jeden Tag hier hochsteigen, ihnen ist der relativ guterWeg zu verdanken, ich schreibe bloss, damit es nicht vergessen wird, ich kenne Leute, die dort ihren Wehrdienst leisteten unten an dem Abzweig beim see gibt es oftPakete für di Versordgung der Berghütte, wenn man eins mitnimmt bekommt man in derHütte chata pod Rysmu ein warmes Getränk
Bruce
28. August 2017Vielen Dank für diesen super Bericht. Ich suche gerade nach einem Weg über den Rysy bis nach Zakopane. Ob man das an einem Tag schafft? In Štrbské Pleso am Morgen los und am Abend in Zakopane ankommen?
Daniel
7. August 2016Hallo Martin,
vielen Dank erstmal für diese gelungene Tourenbeschreibung. Wir sind derzeit in der Planung an dieser Tour und hätten noch gerne eine Rückmeldung von einem Tourerfahrenen Kollegen, ob diese Tour in 2 Tagen (mit Übernachtung auf der Chata Pod Rysmi) auch mit Kindern (5+7) machbar ist. Wir sind regelmäßig im Slowakischen Paradies mit den Kids auch auf anstrengenderen Touren mit Klettersteigequipment unterwegs; der Rysy ist dann aber doch noch einmal etwas anderes. Unser Plan ist auch der Auf- sowie Abstieg von der Slowakischen Seite anzugehen.
Wäre super, wenn du mir Deine Einschätzung hierzu geben könntest.
Vielen Dank vorab
Daniel
zeilentiger
24. September 2015Tolle Tour! Und schön beschrieben. Schade, dass es für mich für eine Spontantour zu weit ist.
Martin Moser
25. September 2015Servus, in Štrbské Pleso findest du aber einige nette Nächtigungsmöglichkeiten, muss ja nicht sooo spontan sein. ;)
Liebe Grüße, Martin
Grosskopf
12. August 2015hallo Bergsteiger,
wir sind kurz vor der Hohen Tatra, wollen auf den Rysy, aber von Polen aus,
Kann man in dem Tal Rybi POTOK kampieren / mit dem Auto anreisen. ab wo ist gesperrt?
Hat jemamd Tips: wir würden gerne direkt von einem Camping klettern / Bergtouren gehen
Danke
Holger
Martin Moser
12. August 2015Hallo Holger!
Tja, das ist leider in der Hohen Tatra nicht besonders easy. Leider kann man selbst nicht ins Tal Rybi Potok (auch Rybiego Potoku) reinfahren, die Straße ist spätestens bei der Hütte Palenica Bialczanska gesperrt, oft auch schon 500 Meter vorher bei einer Straßenkehre. Parkplätze sind an den genannten Plätzen vorhanden, eine Info bei der Hütte. Da du dich hier im Nationalpark befindest, ist jegliches Campen verboten. Es wird auch kontrolliert und wenn sie dich dabei erwischen, kannst du mit saftigen Strafen rechnen.
Der näheste offizielle Campingplatz, der mir bekannt ist, befindet sich ein paar Kilometer nördlich bei Bukovina Tatrzanska, im Ortsteil Bukovina Klin.
So schön und bergsteigertechnisch die Hohe Tatra auch ist, so streng sind die Regeln im Nationalpark. Am besten wird aber sein, wenn du dich vor Ort bei Infostellen erkundigst, was gut zum Klettern und Bergsteigen geht.
Schöne Touren und liebe Grüße,
Martin
István Győri/Ungarn
9. Januar 2018fährt man von Zdiar nach Norden, an der LandesGrenze, zwischenJavorina/Slov. nd dem poilnischenLeszna Polana geht der Tal nach Súd westen Ricstung See Morskie oko, hier gibt es immer Pferdewagen bis zum Campinplatz, von dort ist Rysi auch gut erreichbar,
Dominik
12. November 2013Hallo,
ein toller Bericht aber den Namen nach nicht sehr einladend…”Satan”&”Sensenmann” ;)!
Den Spruch mit der Slackline hätte ich mir lieber verkniffen, gibt immer so verrückte die sowas probieren wolllen ;)!
Scherz beiseite…wie schon gesagt, ein schöner Bericht und sehr lesenswert. Auch die Bilder sind top. Muss ich mir auch mal überlegen ;)!
Beste Grüße,
Dom
Lydia Rehtler
7. November 2013Hallo,
danke für diesen Tipp! Ich werde mir diese Strecke merken und sicher so schnell wie möglich “nachmachen”.
Grüße
Lydia