Heidi und Christine

Veröffentlicht von am Jul 12, 2012 in Nordalpenweg, Reiseberichte & Reportagen | Keine Kommentare
Heidi und Christine

Wer kennt ihn nicht, den Wienerwald. Wiener Alpen in Niederösterreich? Diese touristische Etikette für die vormaligen Wiener Hausberge habe ich auch schon mal gelesen. Können die Gutensteiner Alpen behaupten überregional gekannt zu werden? Auch ich muss gestehen, dass ich dieses in der Alpenvereinseinteilung der Ostalpen vorkommende Gebiet erst durch die zwei Etappen kennen lernte – zwei aufreibende und fordernde obendrein. Einleitend möchte ich hier festhalten, dass an Mon- und Dienstagen die Etappenziele der ersten und zweiten Etappe – das Peilsteinhaus und das Waxeneckhaus – ihre Ruhetage halten. Letzteres wirkte als würde es auf einen neuen Pächter warten. Für uns Weitwanderer hat sich das eher als unpraktisch erwiesen. Zusätzlich deswegen, da es sonst nur in Heiligenkreuz, in Weißenbach an der Triesting und in Waidmannsfeld je ein Kaufhaus gibt. Ja, genau: Kaufhaus. Das in Heiligenkreuz war bereits geschlossen. In Weißenbach durften wir glücklich und zufrieden frische Lebensmittel einkaufen bevor um zwölf in die kommunale Siesta gegangen wurde. Und in Waidmannsfeld rückte das Ortszentrum, der Mittelpunkt des sozialen Lebens an die Bundes- oder Landstraße und daher war der Einkauf mit einem Umweg über Asphaltstraßen verbunden.

(c) Gerald Radinger

Im Anmarsch auf Waidmannsfeld

Bevor wir an jener Hauptverkehrsstraße nach Miesenbach den Trafik-Adeg-Hybrid namens Kaufhaus Christine und die Frisierstube Heidi vis-a-vis vorfanden, gingen wir bereits durch zwei Zeltnächte. Die erste war von der Mähdrescher-Landung geprägt, die zweite von einem heftigen Unwetter, das bis in die Morgenstunden über unserem Zelt zu kreisen schien. Vorbei an kleinen Weilern schlichen wir durch einsame Wälder wo kaum Menschen gesehen und wahrgenommen wurden. Es fühlte sich an, als wären wir zwei Kuriere die unbemerkt eine geheime Botschaft durch diese Ländereien transportieren würden. So freundlich das Triestingtal uns erschien, so einsam ging es von dort auf den Hohen Mandling über das Waxeneckhaus. Ein ähnlich tristes Bild fanden wir dort oben vor: Heruntergerissene Vorhänge und alte Kreidetafeln wirkten, als würden sie von einer längst vergangenen und ehemals glorreichen Zeit der Wiener Sommerfrische erzählen wollen. Der Zustand der Hütte vermittelte den Eindruck, als würden hier seit Jahren schon keine Würstel in Saft den Weg aus der Küche mehr finden. Essen hatten wir noch vom Kaufhaus in Weißenbach, doch die tropisch heißen Temperaturen verlangten nach mehr Wasser.

(c) Gerald Radinger

We proudly present…

Die angrenzenden Wochenendhaussiedlungen vermittelten zwar ein ähnliches Bild einer längst verblassten Zeit, doch tummelten sich da und dort Menschen. Ich fand mich kurz in einem Roman von Marlen Haushofer wieder, bevor eine alte Frau uns zurief, dass wir durstig aussehen würden. Nach der Gewitternacht gelangten wir über den Mandling ins Piesting- oder Biedermeiertal, wie es von der Tourismusverbandswerbung genannt wird. Seltsam stimmig, dachte ich mir. Kaum Menschen auf den Straßen und wenn, dann nur in Autos. Und wenn wir jemanden nach einem Kaufhaus fragten, wurden wir misstrauisch beäugt und es wurde scheinbar widerwillig Auskunft gegeben.

(c) Gerald Radinger

Mitten im Geschehen

Doch zurück zum Kaufhaus und unserer unhaltbaren Gier nach frischem Obst und Gemüse, nach Brot und Wasser. Zwei Frauen betreuten den Miniaturladen. Die eine hinter der Wurst- und Käsetheke, die andere an der Kasse und überall dort wo sie gebraucht wurde – Christine stand auf ihrem Namensschild geschrieben. Nach beherztem Einkauf, der von unserer asketischen Vortagsetappe geprägt war, saßen wir auf der Bank davor und verschlangen Käse, Weintrauben, Joghurt und Erdbeer Combino bis sich die Bäuche füllten. Gegenüber öffnete sich die Tür und eine hagere Frau schritt zu ihrem SUV. Es wirkte als würde sie eher aus einem Modemagazin stammen, als aus der Frisierstube Heidi. Begleitet wurde sie von zwei älteren Damen und vier beleibteren Jugendlichen mit knallig bunter oder glatt strähniger Haarpracht. “Dicke Kinder heißen nach wie vor – dicke Kinder” sprach Josef Hader in meinem Kopf. Die Geschichte mit den Zuchtschweinen fiel mir ein. Die Hagere lud unnatürlich viele Gepäckstücke in ihren Geländewagen, beendete vermutlich gerade ihre Stylemission Piestingtal erfolgreich und rauschte wieder ab in die Bundeshauptstadt und vielleicht in ihre Designerwohnung. Das Verlangen nach einem Eis lockte mich ein weiteres Mal ins Kaufhaus, wo bereits zwei der dicken Kinder “Nachschub fürs Haarefärben” holten. Nein, Haarfarbe war es nicht, die gäbe es dort gar nicht. Es handelte sich um mehrere 300g-Tafeln Schokolade. Warum ich euch das erzähle? Gute Frage. Dieses ganze Spektakel begleitend, wurden wir vom Steuer eines Autos ständig von einem Mann beobachtet. Das Kaufhaus schloss ihre Pforten, die Wurstfachverkäuferin brauste in ihrem Mazda heim zum Mittagessen und zehn Minuten später ließ der Stalker den Motor aufheulen und die Reifen quietschen. Christine trat vor dir Tür und setzte sich ins Auto. Es war ihr Macker. Willkommen im Biedermeiertal.

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