Auf den Spuren Friedrich Simonys
Die Bergwelt der Neuzeit ist zu großen Teilen zu einer Spielwiese abenteuerlustiger Adrenalinjunkies oder Ruhe suchender Großstädter verkommen, die dabei aber nicht auf den Luxus bzw. einen gewissen Grundkomfort wie Seilbahnen und Melange verzichten wollen. Dadurch ist es schwer eine Position einzunehmen, die es ermöglicht die Einzigartigkeit und Fragilität eines Systems zu erfassen, welches an Dynamik und Komplexität viele andere übertrifft. Ein Mensch der diese Fähigkeit besessen hatte war Friedrich Simony, ein genialer Forscher und Bergsteiger. Anfang des 19. Jhdt. legte er durch seine Untersuchungen am Dachstein das Fundament für das heutige Verständnis systemischer Zusammenhänge der Bergwelt. Im Sommer 2013 befanden sich Studierende der Universität Wien, darunter wir, auf den Spuren Simonys am Dachstein, um den für das Studium der Geographie so wichtigen Blick für Zusammenhänge unterschiedlicher naturräumlicher Systeme in der Praxis zu schärfen.
Zu diesem Zweck wurden zwei Inlandsexkursionen zum den östlichsten Gletschern der Alpen organisiert. Wie man sich vorstellen kann, wurde auf beiden Exkursionen über die Bedeutung der Arbeiten Friedrich Simonys, der dieses Gebiet jahrzehntelang erforscht hat, gesprochen. Für uns als Studierende war es einerseits interessant zu hören, wie früher geforscht wurde und andererseits zu welchen Ergebnissen Friedrich Simony gekommen ist. Denn seine Forschungsarbeiten helfen uns heute noch die Situation um den Dachstein besser verstehen zu können.
Friedrich Simonys Lebensweg zeigt eine interessante Entwicklung. Seine schon früh erkennbare Begabung und das Interesse für die Naturwissenschaften wurde in früher Jugend von den Personen um ihn nicht als solches erkannt und deshalb auch nicht gefördert. Er kam erst als Jugendlicher über den Umweg einer Apothekerlehre und eines Pharmaziestudiums zu den Naturwissenschaften, wo er dann die nötige Unterstützung und Förderung genoss. Die Entdeckung der Naturwissenschaften bezeichnete die erste Wendung, der erste Schritt Simonys in Richtung Geographie und auch der erste in Richtung Dachstein. Ab dem Jahr 1875 wandte Simony seinen Blick gänzlich auf den Dachstein in der Hoffnung im Umfeld der Gletscher neue Erkenntnisse finden zu können.
Er war begeistert von den Gletschern und deswegen vertiefte er sich zusehends in Glaziologie und Glazialgeomorphologie. Schon früh erkannte er, dass aus morphologischen Beobachtungen Aussagen über eiszeitliche Prozesse getroffen werden können. Seine unzähligen Aufzeichnungen, Zeichnungen und Fotografien repräsentieren seine über 50 Jahre andauernde Beobachtung des Dachsteingletschers und des Karlseisfeldes. Mit einer Liebe zum Detail beschreibt er die kleinsten Vorstöße und Rückzugsperioden der Gletscher. Vor Ort, am Dachsteingletscher, sind seine Markierungen stille Zeugen eines unglaublich dynamischen Systems, das auf den ersten Blick so statisch wirkt. Als Studierender ist es faszinierend bei diesen Markierungen von damals zu stehen und die geringere Mächtigkeit der Gletscher von heute zu betrachten.
Simony hat in vielerlei Hinsicht bis heute seine Spuren hinterlassen. Der Dachstein ist Dank ihm gut erforscht und ermöglicht uns ein besseres Verständnis, welche Dynamk Gebirgsräume besitzen. Er machte sich Gedanken über die Entstehung des Augensteinschotters am Dachsteinplateau, erkannte die Schrammen und das Moränenmaterial und schloss auf ein Gletschervorfeld. Er war es aber auch der nach seiner Besteigung des Hohen Dachsteins im September 1842 die Idee entwickelte, den Aufstieg auf den Gipfel zu versichern und ihn somit auch für eine breitere Masse zugänglich zu machen. Simony kann somit auch als Gründer der touristischen Erschließung des Dachsteinmassives gesehen werden, welche heutzutage kontroversiell diskutiert wird.
Abgesehen von seinen zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten, setzte sich Simony auch für die Lehre ein. Nicht nur die Gründung des Lehrstuhls der Geographie war für ihn von Bedeutung, sondern auch die didaktische Lehre. Er verwendete vermehrt seine selbst angefertigten Zeichnungen um seine Forschung verständlich zu machen. Zusätzlich setzte er sich schon damals für die Lehramtskandidaten ein und forderte von den Studierenden Übungsvorträge und Demonstrationen an der Tafel. Er wollte somit den Ausbildungsstandard der Studierenden verbessern. Trotz seiner wissenschaftlichen Arbeiten und Werke, stellt sich die Frage, welche wissenschaftliche Relevanz Simony aufweisen kann, da er heute wie damals kaum in Lehrbüchern zitiert wird. Ein Grund dafür könnte sein, dass die biographischen Werke über Simony den Inhalt seiner wissenschaftlichen Arbeiten nicht ausreichend behandelten. Im Gegensatz zu ihm erlangten seine Schüler, wie zum Beispiel Albrecht Penck größere Bekanntheit in der wissenschaftlichen Welt. Jedenfalls weisen seine Arbeiten eine große Bedeutung für die Physiogeographie auf; sein Verständnis und seine Sicht auf das Fach der Geographie kann für damalige Verhältnisse durchaus als revolutionär bezeichnet werden.
Im Gegensatz zu früher hat sich das Verständnis der Geographie heute verändert. Im Laufe der Zeit beschränkten sich die Forschungsfragen nicht mehr nur auf den Bereich der Landschafts- und Länderkunde, sondern konzentrieren sich heute auf eine interdisziplinäre wissenschaftliche Disziplin im Bereich zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Die Ausgabe des Wirtschaftsmagazins “Brand eins” im Oktober 2012 beschäftigte sich mit dem Schwerpunktthema “Spezialisten”. Ein Artikel mit der Überschrift “Einer für Alles – Geographen sind Nicht-Spezialisten. Ihr Forschungsgebiet ist interdisziplinär wie keine zweites. Nur leider braucht sie außerhalb der Universität keiner“. Dieser Titel wirft bei unreflektierter Betrachtung folgende Frage auf: Was ist Geographie? Wir sind keine Geologen und beschäftigen uns trotzdem mit der Geologie, wir sind keine Biologen und beschäftigen uns trotzdem mit der Flora und Fauna und wir sind keine Rechtswissenschaftler und beschäftigen uns trotzdem mit rechtlichen Fragen des Naturschutzes.
Wo liegt nun die Stärke und vielleicht auch der Sinn des Geographiestudiums? Der interdisziplinäre Charakter des ist einerseits seine wesentliche Stärke, aber auch gleichzeitig eine Herausforderung für all jene, die sich während des Studiums damit eingehend beschäftigen wollen. Sich mit so vielen verschiedenen Theorien und Konzepten aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Richtungen auseinanderzusetzen, braucht neben Freude an der Herausforderung manchmal auch einfach ein bisschen Kreativität und Fantasie. Nämlich genau dann, wenn es darum geht, alle Inhalte, Theorien und Methoden zu verstehen, zu sammeln, zu sortieren und in seiner geistigen Bibliothek zu speichern und all diese Informationen – und hier liegt die eigentliche Stärke diese Faches – auf der Grundlage von räumlichen Aspekten zu vernetzen.
Schon Simony hat diesen grundlegenden Zusammenhang zwischen der Geographie und ihren Nachbarwissenschaften erkannt. Er sah die Geographie als stark integrative Wissenschaft. Aus der Verknüpfung von nachbarwissenschaftlichen Erkenntnissen mit räumlichen Aspekten, so war schon damals seine Ansicht, würde die Geographie eine neue Existenzberechtigung erfahren. Doch inwiefern spielen Exkursionen wie diese auf den Dachstein und die vielen weiteren die am Institut angeboten werden, für das Verständnis des Faches eine Rolle? Sie können als willkommene Abwechslung zur Tristesse mancher Hörsäle am Institut gesehen werden. Sie können aber auch als essentielles didaktisches Mittel gesehen werden, das in der Lage ist, ein tieferes Verständnis zwischen räumlichen Sachverhalten und deren Zusammenhänge ausbilden zu können, die gerade in der Geographie so wichtig sind.
Durch die Breite des Faches fällt es uns Studierenden oft schwer, ein Verständnis für Zusammenhänge aus dem Hörsaal heraus ausbilden zu können. Exkursionen sind hier eine der wichtigsten Schnittstellen des Studiums. Wenn man nach einer fünftägigen Exkursion, auf dem Plateau um den Dachstein die letzten Schritte durch den Stollen von der Südseite des Massives nach Norden auf den Schladminger Gletscher bewältigt hat, eröffnet sich ein Bild, das wir vom Dachstein so nicht gewöhnt waren: Pistenraupen, Lifte, Touristen in Turnschuhen und Paläste im Gletschereis. Mit einem Blick wird, neben rein naturwissenschaftlichen Frage-, und Problemstellungen, auch der Mensch und seine Handlungen Gegenstand der Geographie und das wollen wir auch nicht außer Acht lassen.
Ein Beitrag von Clarissa Graf & Florian Hofer, Institut für Geographie und Regionalforschung, Universität Wien. Dieser Vortrag wurde im Rahmen von Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag von Friedrich Simony im Kleinen Festsaal der Universität Wien abgehalten. Simony wurde am 30. November 1813 geboren. Die Simonyhütte am Fuße des Hallstätter Gletschers und die Simonyscharte zwischen dem Hallstätter und Großen Gosaugletscher tragen heute noch seinen Namen. Auch in der Venedigergruppe zeugen Benennungen von seiner einstigen Anwesenheit. Fotos: Thomas Sternberg, Institut für Geograhpie und Regionalforschung, Universität Wien. Alle anderen: Gerald Radinger.
6 Kommentare
Flo
15. Mai 2014Lieber Hans
Sehr gerne würde ich dein Angebot für eine Leseexemplar annehmen.
Wenn es möglich ist, und es für dich passt, würde ich es anschließend der Fachbereichsbibliothek Geographie und Regionalforschung der Universität Wien zur Verfügung stellen.
Mehr dazu in einer e-Mail!
Liebe Grüße,
Flo
Hans Witzmann
15. Mai 2014Ich bin der Autor des Buches Geschichte und Geschichten vom Dachstein.
In meinem Buch sind die ersten Zeichnungen und Fotos von Friedrich Simony abgebildet. Kennst du mein Buch ? Wenn nicht, dann kann ich dir gerne ein Leseexemplar schicken. Ich freue mich auf deine Antwort. Hans Witzmann
Mitterer
24. März 2014Hallo
Ich hab mir gerade deinen Bericht und die Fotos dazu angeschaut. Simony würde sich wohl im Grabe umdrehen wenn er die Entwicklung seinens Gletschers sieht auch wenn man bedenkt das er damals gerade 5 Minuten von der Hütte zum Gletscher gebraucht hat wo man heute min 50 Minuten braucht um dort hin zukommne. Ich bin jetzt seit 5 Jahren Hüttenwirt auf der Simonyhütte und es ist erschreckend was sich in 5 Jahren getan hat.
Ich würde mich sehr freun wenn du mir vl einige dieser Fotos zu Verfügung stellen könntest damit ich diese auf meine Hp geben kann.
lg christoph
Han Witzmann
17. Juni 2014Hallo christoph.
Ich bin der Hans und der Autor der “Geschichte und Geschichten vom Dachstein”. Kennst du mein Buch?
Wenn nein, schicke ich dir gerne eines kostenlos. Du kannst es ja als Leseexemplar in der Hütte auflegen.
Ich habe in deiner Hütte beim “Toni” vor fast 20 Jahren eine Woche als ” Hüttenhelfer” gearbeitet.
Ich freue mich auf deine Nachricht. Gruss Hans
Gerald Radinger
18. Juni 2014Hallo Hans, danke für deine Antwort. Ich werde sie an Christoph weiterleiten. Liebe Grüße, Gerald
Hans Witzmann
3. Juli 2014Hast du das Dachsteinbuch bekommen?